Freitag, 23. November 2012

Mursi erhebt sich zum „neuen Pharao“

Ägyptens Präsident beschneidet die Macht der Justiz und ebnet den Weg zu absoluter Herrschaft – Moslembrüder rüsten sich für die Konfrontation
von Birgit Cerha

Die Führung der Moslembruderschaft, die Mohammed Mursi den Weg zum Präsidenten Ägyptens geebnet hatte, appelliert an ihre aktivsten Mitglieder, keine Auslandsreisen anzutreten und sich für die Konfrontation mit säkularen Gegnern zu rüsten. Kein Zweifel, Ägypten rückt 21 Monate nach dem Sturz Mubaraks neuen Turbulenzen immer näher und entfernt sich zugleich dramatisch dem von vielen der jungen Revolutionäre so heiß ersehnten Ziel der Freiheit, Würde und Demokratie.
Mursi agiere wie ein „neuer Pharao“, indem er sich de facto über das Gesetz stelle, empört sich der Friedensnobelpreisträger Mohammed Baradei. „Er hat der Revolution einen schweren Schlag versetzt, der gravierende Folgen haben könnte.“ Mursis Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Juni, Amr Moussa, fürchtet erneute Rebellionen. Andere Kritiker, wie Hossam Essa, Professor für Rechtswissenschaften, sprechen gar von „absolutem Faschismus“.
Es sind Dekrete, mit denen der Ägyptens erster freigewählter Präsident Donnerstag seine Macht drastisch ausweitete, die diese Empörung auslöste. Mursis Beteuerung, es ginge ihm nur darum, die Errungenschaften der Revolution zu schützen, überzeugen in diesen Kreisen kaum jemanden.
Mursi nützte seinen ersten außenpolitischen Erfolg – Vermittlung eines Waffenstillstandes zwischen den Palästinensern in Gaza und Israel -, um die Macht der Justiz drastisch zu beschneiden. Alle Verfassungszusätze, Entscheidungen und Gesetze, die er seit seiner Machtübernahme im Juni erlassen hatte, seien endgültig. Keine Rechtsmittel könnten mehr gegen sie eingelegt werden.  Damit werden alle von der Justiz für ungültig erklärten Dekrete Mursis wieder wirksam. Vor allem ging es dem Präsidenten darum, das in eine schwere Krise geratene Verfassungskomitee vor einer von seinen Gegnern betriebenen Auflösung zu schützen. Kein Justizorgan hat nunmehr das Recht, dieses Komitee oder den Schura-Rat, die zweite Kammer des Parlaments, aufzulösen.
Die hundert Mitglieder zählende Verfassungsgebende Versammlung sollte bis Dezember ein neues Grundgesetz erarbeiten. Nach dessen Billigung durch das Volk in einem Referendum sollen die Ägypter ein neues Parlament wählen. Doch der Prozess geriet in die Sackgasse, weil die islamistische Mehrheit im Komitee Verfassungsartikel durchzuboxen versuchte, die den Weg Ägyptens zu einer islamischen Republik zu ebnen drohten, die Gleichberechtigung der Frauen und der religiösen Minderheiten nicht garantiere. Ein Drittel der Ratsmitglieder – alle  Vertreter der liberalen und säkularen Strömung im Land, sowie der acht Millionen Kopten und anderen christlichen Minderheiten – verließen aus Protest die Versammlung und verloren nach ihren Aussagen die Hoffnung, ein Grundgesetz zu schreiben, das auf Konsens beruht und allen Bevölkerungsgruppen im Land gerecht wird. Sie hofften, mit Hilfe der Justiz, die Wahl eines neuen Komitees durchzusetzen, in dem die Islamisten nicht mehr dominieren würden. Diese Möglichkeit ist nun verbaut. Mursi verlängerte hingegen die Frist bis zur Fertigstellung des Verfassungsentwurfes um zwei Monate.
Vor allem irritiert Rechtsexperten Mursis Entscheidung, dass alle seine Entscheidungen „endgültig sind und nicht angefochten werden können“. Er beginne so, mehr Macht in seinen Händen zu konzentrieren, als der autokratische Herrscher, gegen den sich die Ägypter im Januar und Februar 2011 erhoben hatten. Und vor allem: „Der Präsident hat sich das Recht gegeben, das vom Verfassungsgericht im Juni wegen Wahlfehlern aufgelöste – von Islamisten dominierte – Parlament wieder einzusetzen. Bei Neuwahlen wäre jetzt ein derart überwältigender Sieg dieser Strömung unwahrscheinlich.
Durch die nun verfügte Absetzung des von Mubarak eingesetzten und unter den revolutionären Aktivisten verhassten Generalstaatsanwaltes Abdel Meguid Mahmud, dessen Demission im Oktober  am Widerstand der Justiz gescheitert war, hofft Mursi offenbar seine säkularen Gegner zu beschwichtigen. Dem selben Ziel soll der Entschluss dienen, die Prozesse wieder aufzurollen, in denen mutmaßliche Verantwortliche für die Tötung von Demonstranten bei den Protesten gegen Mubarak 2011 entweder freigesprochen oder nur milde bestraft worden waren. Auch der Prozess gegen den zu lebenslanger Haft verurteilten Ex-Diktator könnte damit von neuem beginnen.

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